Historie

Das Damwildgatter in der Bad Oeynhausener Schweiz

Auf dem Twellkamp, dort wo sich heute die „Bad Oeynhausener Schweiz“ befindet, hatte der Bauer Mülke, heute Ravensbergerstraße, früher seine Äcker. Außerdem gab es dort „Rötekuhlen“, in denen der auf dem Hof angebaute Flachs so lange lag, bis er ausreichend verrottet war und sich der Bast leicht abstreifen ließ. Vom damaligen Mülke-Hof ist lediglich das alte Fachwerkwohnhaus übrig geblieben, das im Jahre 2013, aufwendig restauriert wurde.

Die Stadt Bad Oeynhausen erwarb den Twellkamp, forstete ihn im Jahre 1900 auf, legte Fußwege an und baute eine Brücke über den Hamkebach. Zu dieser Zeit wurde der Twellkamp zur Kuranlage und bekam den Namen „Schweiz“, weil das Gelände ein wenig hügelig war. Er hatte eine Größe von 14,68 ha. Diese Namensgebung sollte den Duft der weiten Welt in die aufstrebende Kurstadt bringen.

Wer kennt sie nicht, die herausgeputzte Bürgersfrau mit Rüschenkleid und Sonnenschirm während des sonntäglichen Spazierganges in der Bad Oeynhausener Schweiz, wie sie uns auf alten kolorierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen begegnet.

Als Postkartenmotiv beliebt und gerne mit lobenden Worten über die schöne Stadt und den wundervollen Kurpark versehen. Damals so schien es, war die Welt noch in Ordnung.

Dieses Stück unserer Stadt war ein begehrenswerter Platz geworden, der Park für Erholungssuchende und das Gelände rundum als begehrte Wohnlage. Ein Eintrag in ein privates Gästebuch eines Anliegers hörte sich so an:

„Des Hauses ganz besonderer Reiz, man lebt hier ständig in der Schweiz“

Der Kurpark mit dem ehrwürdigen Kurhaus, heute Kaiser-Palais, dem Kurtheater, der Wandelhalle, den Kurhäusern und einem Museum waren beliebte Ziele von Erholung suchenden Menschen. In dem vom bekannten Gartenarchitekten Lenne´ gestalteten Park spazierten die sonntäglich gekleideten Gäste umher und genossen das Wasser aus den „Heilenden Quellen“. Bad Oeynhausen gehörte schon Anfang des 19. Jahrhunderts zu den ersten Adressen für Erholung suchende und bot Gelegenheit zu einer Vielzahl von Freizeitaktivitäten.

Nicht nur der Kurpark war eine Attraktion, sondern auch die „ Oeynhausener Schweiz“. Sie war aufgrund ihrer Nähe zur Stadtmitte und dem Kurpark für Kurgäste und Bürger ein beliebtes Ziel. Der ruhige, schattige Park mit alten Buchen, knorrigen Eichen und dem Hamkebach bot so manches lauschige Plätzchen.

Geselligkeit wurde großgeschrieben, und so traf man sich nach dem sonntäglichen Spaziergang in der „Gaststätte Schalk“ an der Steinstraße, direkt neben der „Bad Oeynhausener Schweiz“. Sicherlich war die Umgestaltung der ehemaligen Ländereien des Landwirtes Mülke zur Kuranlage der Grund für Karl Schalk und seinen Sohn Wilhelm, aus ihrer ehemaligen kleinen Gaststätte, die im Jahre 1873 eröffnet worden war, im Jahre 1902 eine Gaststätte mit Kaffee, Milchwirtschaft und Vollkonzession zu machen. Im Bad Oeynhausener Telefonbuch des Jahres 1935 ist die Gaststätte eingetragen als

„Restaurant zur Oeynhauser Schweiz, Wilhelm Schalk, Milch – und Kaffeewirtschaft“

Gaststätte Schalk heute

Die herrlichen Gasträume, in denen der ehemalige landwirtschaftliche Betrieb kaum wieder zu erkennen war, und der schattige Biergarten lockten viele Besucher in das Restaurant. Das Haus beherbergte nun ein kleines Museum. Auf einem Schild im Lokal war zu lesen:

„Manch Stück aus Altwestfalenland, bei ihm ein würdig Plätzchen fand, auf Böden, Scheun und Kämmerlein, stellt Vater Schalk sich sicher ein, galt´s Altertümer heben, aus Schutt zu neuem Leben, Bad Oeynhausens alte Schweizerei, birgt dieser Schätze mancherlei.

Darf´s Gasthaus auch Museum sein? Warum denn nicht, kehr bei ihm ein! Nach frohem Wandern ruht sich´s schön, wo Ahnengrüße uns umwehn´.“

In der Küche standen Tochter Erna und Sohn Wilhelm, die dafür sorgten, dass die Gäste wohlschmeckende westfälische Speisen auf die Teller bekamen. Es wurde das verarbeitet, was in dem weitläufigen landwirtschaftlichen Betrieb erzeugt wurde. Während der Besatzungszeit verschwand die schöne Inneneinrichtung des Hauses fast vollständig. Seit vielen Jahren ist aus der historischen Stätte nun ein italienisches Lokal geworden.

Die Badeverwaltung schuf 1934 eine neue Attraktion in der „Bad Oeynhausener Schweiz“. Es wurde ein Wildgehege errichtet und neben der Botanik konnte fortan auch aus respektvollem Abstand Dam- und Rotwild beobachtet werden. Der Aufbau des Geheges sollte nicht nur den Kurgästen eine gewünschte Abwechslung bieten, sondern sollte insbesondere ein Geschenk an die Bad Oeynhausener Bürger sein, denn die Oeynhausener Schweiz hatte sich in den Jahren von einem Ort des “Lustwandelns der Bürger“ hin zu einem Ausflugsort für die ganze Familie entwickelt.

Neben dem Wildgatter entstanden eine Halle und ein Kinderspielplatz. Ob das bunte Treiben der Kinder gesittet und geordnet ablief, bestimmten nicht nur die fürsorglichen Eltern, auch ein Kurparkwächter wirkte mit. Seine schmucke grüne Uniform und sein strenger Blick sorgten dafür, dass die Kleinen sich „anständig“ verhielten. Andernfalls folgte nach ermahnenden Worten wenn nötig ein Platzverweis. Fortlaufen half nicht, die Ordnungshüter verfügten schließlich über Dienstfahrräder.

Der Kinderspielplatz am Damwildgehege

Die Kriegsjahre hinterließen Spuren in der bei allen so geliebten Oeynhausener Schweiz. Teile des Dam- und Rotwildbestandes landeten in den Jahren der Not zunehmend als fleischliche Sonderrationen in den sonntäglichen Töpfen und Pfannen.

Die uralten Eichen und Buchen boten aber nicht nur dem Wild eine gute Deckung, sondern das Gelände der Oeynhausener Schweiz wurde auch zunehmend als Abstellplatz für Geschütze genutzt, die in der am Rande der Stadt gelegenen Weserhütte gebaut wurden. Die ausladenden Baumkronen sollten somit nicht nur dem Wild Schatten spenden, sondern vielmehr auch als Versteck vor angreifenden Bomberverbänden dienen.

In den letzten Kriegsmonaten wurden die Menschen immer häufiger durch Fliegeralarme aufgeschreckt und suchten Schutz in Kellern und Bunkern. Die Weserhütte war den Alliierten als Rüstungsbetrieb bekannt und so kam es dann am Karfreitag, dem 30.03.1945 um 11 Uhr morgens, zum Bombenangriff auf die „Hütte“. Die Innenstadt von Bad Oeynhausen war bis zu diesem Zeitpunkt verschont geblieben.

Vielleicht haben Flugblätter, die es damals gegeben haben soll, recht behalten. Darauf soll gestanden haben:

„Bielefeld und Minden werden wir finden. Bad Oeynhausen werden wir schonen, da wollen wir später wohnen!“

Die Bomberverbände warfen ihre tödliche Fracht ab, dicke Rauchwolken erhoben sich in den Himmel. Zielsicher waren die Bomben über der Weserhütte abgeworfen worden und hatten eine verheerende Zerstörung angerichtet. Auch die „Bad Oeynhausener Schweiz“, wohl wegen der dort versteckten Geschütze, wurde schwer getroffen. Zeitzeugen berichteten von vielen Bombentrichtern und unzähligen Toten und Verwundeten. Wie durch ein Wunder blieb der Schaden am Gatter gering, nur einige wenige Stücke Rot- und Damwild wurden durch Druckwellen getötet.

Nach Kriegsende wurde Bad Oeynhausen Hauptquartier der Britischen Rheinarmee. Die Stadt, die die Briten während des Krieges geschont hatten, wurde jetzt ihr Zuhause. Die Innenstadt wurde geräumt und kam hinter Stacheldraht.

In der Schweiz, wo früher Kurgäste flanierten, waren nach dem 2. Weltkrieg Einheiten
der Britischen Rheinarmee stationiert.

Die Britischen Offiziere hatten die“ Oeynhausener Schweiz“ schnell als wunderbaren Platz entdeckt und bauten auf dem heutigen Gelände des Gatters einen Tennisplatz mit Tribüne. Fundamentreste erkennt man heute noch, auch an der Staunässe nach Regenschauern. Der inzwischen entstandene Beachballplatz wurde rückgebaut und dient heute dem Damwild als Äsungsfläche.

Ob für Touristen oder Einwohner, ein Besuch des Gatters in der „Oeynhausener Schweiz“ gehörte und gehört schon immer zum Pflichtprogramm. Lisa Löns, die Witwe des Heidedichters Hermann Löns, die lange Zeit in Bad Oeynhausen wohnte, hat fast täglich, zuletzt im Rollstuhl, das Wild in der „Bad Oeynhausener Schweiz“ besucht.

Nach dem Abzug der Briten erlebte Bad Oeynhausen eine neue Blüte. Der Standort als Gesundheitszentrum lockte mit einer Vielzahl von Kurkliniken wieder Kur- und andere Gäste an, die die Oeynhausener Schweiz mit dem Wildgatter als Erholung und angenehme Unterhaltung lieben lernten.

In einem Artikel einer älteren Tageszeitung war zu lesen:

„Aus der Überlegung heraus, dass der Kontakt zur Natur und Kreatur im Oeynhausener Heil- und Erholungsplan nicht die kleinste Rolle spielen darf, hat man sich immer wieder Gedanken gemacht, wie man den Gast auf Zeit, oft den Kurgast aus den kreaturenentvölkerten Großstädten, wieder in engeren Kontakt zu den Schöpfungen dieser Erde bringen könnte.“

Mit der Gesundheitsreform in den 90er Jahren und den rückläufigen Kurgastzahlen mussten nicht nur Kurkliniken den Gürtel enger schnallen, sondern auch in der Kurparkverwaltung wurden Einsparungspotentiale gesucht. So begann man im Jahre 1998 die Schließung des bei den Bürgern so beliebten Damwildgatters zu erwägen.

Viele Bürger protestierten, der damalige Kurdirektor hatte ein Einsehen, Menschen aus der Stadtverwaltung und dem Hegering fanden Wege und Helfer, Kosten zu senken. Das Gatter mit dem Damwild konnte weiter bestehen. Ein kleiner Kreis engagierter Bürger und Mitglieder des Hegerings Bad Oeynhausen machte es sich zur Aufgabe, für den Unterhalt und die Pflege des Gatters und des Wildes zu sorgen. Dabei sollte der Name des damaligen Bad Oeynhausener Hegeringleiters, Siegfried Pricken, nicht unerwähnt bleiben. Pricken brachte schnell ein paar Interessierte zusammen, die sich mit großem Einsatz um das beliebte Gatter in der „Schweiz“ kümmerten.

Um die Oeynhausener Schweiz attraktiver zu gestalten und die wirtschaftliche Grundlage des Damwildgatters auch für die Zukunft zu sichern – beides gehört zusammen – wurde über die Neugründung eines Vereins nachgedacht.

Im August 2013 war es dann soweit. Die Grundlagen für die Neugründung wurden geschaffen, und es kam zur Eintragung des Vereins

„Damwildgehege Bad Oeynhausener Schweiz e. V.“

Aus dem Kreis der langjährigen Förderer und Pfleger des Damwildes wurden die folgenden Mitglieder des Vorstandes gewählt:

Vorsitzender Rainer Frilling; 2. Vorsitzender Herbert Kelle, Schatzmeister Horst Steffen, stellvertretender Schatzmeister Uwe Langebartels und Schriftführerin Birgit Jäcker.

Der Verein hat die Vision, an die Tradition der Vergangenheit anzuknüpfen und die Oeynhausener Schweiz in ihrer Besonderheit und Schönheit nicht nur zu erhalten, sondern das Areal als Erholungs- und Lernort Natur weiter auszubauen.

Die tatkräftige Unterstützung und Förderung durch die Stadt und das Staatsbad Bad Oeynhausen hat diese Nutzung möglich gemacht.

Eröffnung Lernort Natur in der Oeynhausener Schweiz

Besonders durch den Ausbau des alten Gärtnergebäudes zu einer Waldschule sollen Kindergärten, Schulen, Seniorenheime, also interessierte Gruppen eine umwelt- und werteorientierte Betreuung und Unterrichtung erhalten.

Es sind nicht mehr nur die kreaturenentvölkerten Großstädter, sondern leider immer mehr unsere eigenen Kinder, die die Schöpfung dieser Erde nicht mehr kennen.

Es sollte auch das vorrangige Ziel aller Mitwirkenden sein, unseren Kindern die wunderbare Natur nahe zu bringen, ohne dass wir dafür in „Die Schweiz mit den hohen Bergen“ fahren müssen. Denn:

„Warum in die Ferne schweifen, sieh, die Schweiz liegt doch so nah!“

Der Verein und seine Vorläufer können auf eine lange Tradition zurückblicken und sind sich seit Jahrzehnten der Unterstützung und Mithilfe der Bevölkerung aus allen Schichten sicher.